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Sinn und Unsinn von Füllwörtern Eine Studie am Beispiel Hörfunk
Inhaltsverzeichnis: Einleitung1. Sprache als Informator1.1. Direkter Informationsaustausch 1.2. Indirekte Informationsvermittlung 1.3.1. Das Levelt´sche Sprachverarbeitungsmodell 1.3.2. Die Gestik: Das Sprachproduktionsmodell von de Ruiter 2.
Sinn und Unsinn von Füllwörtern 2.1. Füllwörter in Hörfunkbeiträgen b) Thema: Amnesty International
2.2. Sinnige Füllwörter, unsinnige Füllwörter? AnhangLiteraturverzeichnis“Ähm,
was ich sagen wollte...” - Alle Menschen benutzen Füllwörter wie “äh”
und “ähm”, wenn sie über längere Zeit frei sprechen. Allerdings ist
auch zu beobachten, daß einige mehr, andere weniger Füllwörter
benutzen; denkt man an Boris Becker, scheinen Füllwörter zur
Angewohnheit werden zu können. Häufen sie sich extrem im Sprechprozess,
empfinden die Zuhörer sie als störend. Warum
benutzen wir Füllwörter? Warum machen wir nicht eine Pause, ohne sie mit
einem Lautausdruck zu füllen? Haben Füllwörter eine Funktion? Oft
wird jemand, der zwar Füllwörter benutzt, aber frei spricht, hörend
angenehmer empfunden und besser verstanden, als jemand, der fehlerfrei und
ohne auffällige Pausen spricht, dafür aber “vorlesend”, d.h. im Stil
eines ihm vorliegenden formulierten Textes spricht. Woran
liegt das? Sollte man den letzteren nicht besser verstehen, da er
fehlerfrei und fließend spricht? Diesen
Fragen wird in dieser Studie nachgegangen. Um
aber so spezielle Lautausdrücke wie Füllwörter verstehen zu können,
wird dem Folgenden eine grobe Erklärung des Weges von der Intention (
Sprechabsicht ) bis zur Artikulation einer aussage Anhand des
Sprachverarbeitungsmodells von Levelt – ergänzt durch das Gestikmodell
von de Ruiter –vorangestellt. Eine Theorie der Funktion von Füllwörtern
ist die “Fehlersignalfunktion” von Levelt u.a., die in dieser Studie
an Beispielen aus Hörfunkbeiträgen untersucht wird. Der Hörfunk ist
allein auf Akkustik/Sprache angewiesen, da der Zuhörer Gestik und Mimik
der Sprecher nicht wahrnehmen kann. Daher wird auf die Gestik in den drei
vorgestellten Untersuchungen nur am Rande eingegangen werden ( die Mimik
wird in dieser Studie außen vor gelassen, da Mimik ein zu komplexes Thema
ist und daher den Rahmen dieser Studie sprengen würde ). Testzuhörer
in den Untersuchungen waren die Seminarteilnehmer/Innen des Seminars von
Dr. Marita Pabst-Weinscheink (
Titel der Veranstaltung: “Ähm,
was ich sagen wollte...”). Die Bewertung der einzelnen Hörfunkbeiträge
durch die Seminarteilnehmer/Innen vor allem im Bezug auf Füllwörter u.a.
Auffälligkeiten des Sprechprozesses wird in dieser Studie zusammenfassend
dargestellt. Anhand der einzelnen Bewertungen werden Fehlererklärungen
– vor allem unter zu Hilfenahme des Sprachverarbeitungsmodells
von Levelt ( 1.3.1. ) sowie des Ratgebers “Schreiben
fürs Hören. Trainingstexte, Regeln und Methoden” ( siehe Anm. 29 )
von Stefan Wachtel – versucht. Die
drei vorzustellenden Untersuchungen werden detailliert transskribiert, es
wird aber nicht auf jede Auffälligkeit in der Bewertung bzw. Erklärung
im Genauen eingegangen werden, andere werden auch ganz vernachlässigt.
Der kurze Umfang dieser Studie kann nur einzelnen Auffälligkeiten, vor
allem in Hinsicht auf Füllwörter, Raum geben. Schon in einer
Untersuchung erwähnte und erklärte Auffälligkeiten werden daher in den
anderen Untersuchungen oberflächlicher abgehandelt, es sei denn, ähnlich
verwendeten Auffälligkeiten liegen vielleicht erkennbar andere Erklärungen
zugrunde. Es
werden vor allem Füllwörter wie “äh”/ “ähm” untersucht, daher
wird auf andere Füllwörter nur am Rande eingegangen. In
Hörfunkbeiträgen werden oft vorformulierte Texte oder zumindest
Stichwortzettel verwendet. Schriftlich fixierte Informationen werden frei
sprechend zu vermitteln versucht. Welche
Schwierigkeiten der Weg vom Schreibdenken ( Text ) zum Sprechdenken (
freie Rede ) für Sprecher und Zuhörer bereitet, wird vor allem in der
ersten und zweiten Untersuchung von Hörfunkbeiträgen aufgezeigt, auch
unter zu Hilfenahme des schon erwähnten Ratgebers von Stefan Wachtel. Die
dritte Untersuchung wird nur oberflächlich behandelt, sie soll nur ein
anschauliches Beispiel für Sprechdenken in einer lockeren Gesprächssituation
liefern. Sprache
ist nach Platon ein “Werkzeug” ( Organon ), mit dem “einer - dem
anderen - über die Dinge” etwas mitteilt.[1]
Vor
allem in den Medien Fernsehen und Radio scheint Sprache diese Funktion zu
haben, Informationen sollen über den Bildschirm bzw. den Lautsprecher an
Zuschauer bzw. Zuhörer vermittelt werden. Jedoch muß eine grundlegende
Unterscheidung für die weitere Untersuchung getroffen werden: Direkter
Informationsaustausch/Informationsvermittlung und indirekte
Informationsvermittlung. 1.1. Direkter Informationsaustausch Frei nach Anke Werani läßt sich die Situation des Gesprächs wie folgt zusammenfassen: In
einer ,normalen’ Gesprächssituation findet ein direkter Informationsaustausch
zwischen zwei oder mehr Personen statt, die Personen treten in Interaktion miteinander, d.h. grundlegend sollte jede zu übermittelnde
Information relevant für die
entsprechende Gesprächssituation sein. Daher ist die in Gesprächen
verwendete Sprache “extrem kontextgebunden”, d.h. die zu übermittelnden
Informationen ergeben sich zum Teil aus der gemeinsamen
Gesprächssituation und der dadurch miteinander geteilten Gesprächsfaktoren
wie z.B. Sprache, Gesprächszeit,
Gesprächsort. Die Geprächs- bzw. Interaktionspartner schöpfen also
aus einer gemeinsamen Wissensquelle über die Gesprächssituation. Immer
handelt es sich bei Gesprächen um “intentionale, zielgerichtete Aktivitäten”,
d.h. die zu übermittelnden Informationen dienen einem bestimmten Zweck,
wie z.B. dem Ausdruck einer Bitte, eines Wunsches, einer
Selbstdarstellung, aber auch dem Zweck der Informationssuche oder
Sachdarstellung ( “Sachdarstellung”: bei Anke Werani bzw. Levelt
“Informieren” ).[2] An
der Reaktion des Interaktionspartners ( neben der Selbstbeobachtung während
des Sprechens[3]
) stellt der Sprecher das Erreichen oder Nicht-Erreichen seines Ziels
fest, da dieser ihm mit Zustimmung, Ablehnung, Ausdruck des Unverständnisses
oder teilweisen Unverständnisses begegnen
kann. Neben
dem sprachlichen Ausdruck steht den Gesprächspartnern auch der
Informationsausdruck über Mimik und Gestik zur Verfügung, der zum Teil
dem sprachlichen Ausdruck vergleichbare oder aber ihn vielleicht
begleitende und unterstützende Funktionen erfüllt, wie noch gezeigt
werden wird.[4] Allgemein
kann man sagen, daß “das wichtigste Ziel der Gesprächsführung (...)
der Aufbau und die Organisation von sozialen Beziehungen bei der
gemeinsamen Lösung von Aufgaben”[5]
ist.
1.2. Indirekte Informationsvermittlung Im
direkten Gespräch läßt sich Interaktion gut beobachten und
kontrollieren anhand der Reaktionen der Interaktionspartner auf ihre Gesprächspartner. Wie
jedoch läßt sich eine Informationsvermittlung über das Fernsehen bzw.
Radio als erreicht oder nicht-erreicht für den Übermittler bewerten? Der
Zuschauer bzw. Zuhörer kann selten ( wie z.B. über das Zuschauertelefon
) direkt auf die Informationen reagieren bzw. nicht an den Übermittler
gerichtet. Die Spontan-Reaktionen, die er vielleicht von sich gibt,
bekommt der Übermittler weder zu sehen noch zu hören. Da
zwischen dem Sprecher der Information ( Sender ) und dem Zuhörer/Zuschauer
der Information ( Empfänger ) noch ein Medium
steht, lassen sich Fernsehen und Radio wohl auch als indirekte
Informationsvermittlung bezeichnen. Allerdings
hat das Fernsehen den Vorteil, daß wenigstens dem Empfänger neben dem
sprachlichen Ausdruck auch Mimik und Gestik des Senders vermittelbar sind,
das Radio dagegen muß sich mit dem sprachlichen Ausdruck und akkustischen
Hilfen begnügen. Daher
läßt sich besonders am Medium Hörfunk der Sinn oder Unsinn sprachlicher
Ausdrücke untersuchen, wie z.B. der Sinn oder Unsinn von Füllwörtern,
wie in dieser Studie gezeigt werden wird ( 2. ff ). Doch
bevor man auf spezielle sprachliche Ausdrücke eingeht, sollte
vorweggenommen werden, wie ein sprachlicher Ausdruck, der in direkter wie
indirekter Informationsvermittlung intentional sein soll, entsteht. In
der kognitiven Psychologie wird
heute Sprache komplexer definiert als es Platon mit seiner
Werkzeug-Metapher versuchte. Sprache ist nicht nur Bezeichnung des
Wesenhaften ( Idee ) der Dinge[6], um über sie zu reden
bzw. anderen Dinge mitzuteilen, sondern nach Anke Werani dem Kognitiven
untergeordnete Informationsverarbeitung: Man
versucht “kognitive Prozesse in eine Abfolge geordneter Phasen zu
zerlegen”, so daß man “das kognitive System als hochkomplexes
Informationsverarbeitungssystem bezeichnen” kann.
Da Sprache als “Subsystem des kognitiven Systems” betrachtet
wird, “nimmt man an, dass die Sprachverarbeitung auf
informationsverarbeitenden Prozessen basiert.” Der
“Informationsverarbeitungsansatz” ist in den kognitiven Wissenschaften
heute vorherrschend und daher auch für diese Studie, die sich an der
derzeitigen Forschungslage orientiert, grundlegend.[7]
Allerdings werden die kognitiven Prozesse hier nicht tiefergehend erklärt, das würde den Rahmen der Studie sprengen. Es mag an dieser Stelle eine kurze Erläuterung des Levelt´schen Sprachverarbeitungsmodells genügen ( das aber auch nur die gesprochene Sprache berücksichtigt[8] ), um dem Folgenden die Basis zu sichern.
1.3.1. Das Levelt´sche Sprachverarbeitungsmodell Willem
J.M. Levelts Werk Speaking. From
Intention to Articulation.(1989)[9]
ist bis heute bedeutend für
die Psycholinguistik. Sein Vorschlag eines Sprachverarbeitungsmodells ist
weitgehend anerkannt und läßt sich oberflächlich in vier Phasen
einteilen[10]: >
Conceptualizing Um
einen intentionalen Sprachausdruck zu produzieren, sind vorerst mentale
Prozesse vonnöten, die eine hohe Aufmerksamkeit des Sprechers
erfordern, da er sie auch selbst kontrollieren muß (
monitoring ). Die
für die kommunikative Intention relevanten Informationen müssen aus dem
Gedankenstrom herausgesucht und geordnet werden, vorher Gesagtes muß
miteinbezogen, die gemeinsame Gesprächssituation beachtet werden (
Macroplanning ). Die
Informationen müssen dann auf eine spezielle informative Perspektive hin
ausgerichtet werden, z.B. zu einer Frage, Bitte, Aufforderung, inclusive
Wahl des Grades der Höflichkeit, Direktheit, Wahl der Einführung,
Zielrichtung der Aussage ( Microplanning ). Für
dieses System der mentalen Prozesse, den Conzeptualizer,
sind verschiedene Arten von Wissen Voraussetzung, wie z.B. situatives
Wissen, d.h. Überblick über die Gesprächssituation im Einzelnen und über
die Welt im Allgemeinen. Unabdingbar daher eine Art mentale Enzyklopädie
in der eigenen Sprache. Wissensformen dieser Art sind aus dem Long-Term
Memory abrufbar. Das
Ergebnis dieser mentalen Prozesse ( output ) ist die preverbal
message, ein grober mentaler Plan dessen, was formuliert werden soll.
Die Formulierung ist also die nächste Phase, die preverbal
message ihr Ausgangspunkt ( input ). >Formulating Die
Formulierung, d.h. die Übersetzung der konzeptualen Struktur der preverbal
message in eine linguistische Struktur, verläuft in zwei Schritten. Der
erste ist das Grammatical Encoding, d.h. die relevanten Informationen für
die Aussage werden in die grammatisch angemessene Wortform übersetzt.
Dies geschieht zuerst hinsichtlich der semantischen und syntaktischen
Wortformbildung ( lemma information ). Die Informationseinheiten dafür, Lemmata,
sind aus dem mentalen Lexikon
abrufbar. Ein
encodiertes Verb, z.B. ,know’, bestimmt die Satzkonstruktion mit, da z.B. ,know’
grammatikalisch ein Subjekt und ein Objekt benötigt ( X knows Y ). Neben
der morphologischen Wortformbildung ist der zweite Schritt vor allem das
Phonological Encoding, dessen Ansatz die nach dem Grammatical Encoding
entstandene Oberflächenstruktur (
surface structure ), d.h. der Strang geordneter Lemmata, ist. Für
jedes Lemma und für die Aussage insgesamt wird nun ein phonetischer bzw.
artikulatorischer Plan erstellt, der von der lexikalischen Form der
Lemmata ( Morphologie und Phonologie ) abhängt. Der
fertige phonetische bzw. artikulatorische Plan wird von Levelt nur zögerlich
auch internal speech genannt, da
er dem Sprecher nicht bewußt ist. Die Bezeichnung macht aber deutlich, daß
es sich nur um einen Artikulationsvorschlag ( output ) des Formulators
handelt, aber noch nicht um overt
speech. >Articulating Der
Artikulationsvorschlag wird von den artikulatorischen Organen in overt
speech umgesetzt. Bei
diesem Vorgang werden hindernde Umstände berücksichtigt ( wie z.B. eine
Pfeife im Mund ) und umgangen, um eine möglichst genaue Wiedergabe des
Artikulationsvorschlags zu erreichen. >Self-Monitoring Der
Sprecher ist sein eigener Zuhörer, reagiert nicht nur auf seinen Gesprächspartner,
sondern auch auf seine eigene overt
speech ( Self-Monitoring ). Der
Sprecher versteht seine overt
speech als bedeutungshafte Wörter und Sätze. Er verfügt über eine
auditive Komponente, das Speech-Comprehension-System,
dem ebenfalls das mentale Lexikon zugänglich ist. Das
Speech-Comprehension-System
setzt sowohl overt speech als
auch internal speech in parsed speech um, eine Repräsentation der input speech in seinen kombinierten semantischen, syntaktischen,
morphologischen und phonologischen Einheiten. Die
parsed speech ist wiederum input
des Conzeptualizers, um dort im Speech-Comprehension-System
entdeckte Fehler zu beheben, im Falle der internal
speech schon vor der Artikulation. Damit
z.B. Fehler vor der Artikulation behoben werden können, muß die internal
speech als parsed speech
nicht nur als Komposition im Working
Memory, Teil des Conzeptualizers,
als abrufbar angesehen werden. Ebenso müssen die Zwischenergebnisse des Grammatical und Phonlogical
Encoding dort gespeichert sein, da ansonsten z.B. ein fehlerhafter
Satz im Ganzen wiederholt werden würde. Wie zu beobachten ist, werden
aber auch Satzelemente während der erstmaligen Artikulation eines Satzes
korrigiert. Die für die jeweiligen Zwischenergebnisse zuständigen
Speicherplätze werden Buffer
genannt. Außerdem wird auch eine Abrufbarkeit der surface
structure aus dem Working Memory
angenommen. Die
genannten Phasen von der Konzeptualisierung einer Intention bis zur
Artikulation inclusive Fehlerbehebung laufen nicht linear hintereinander
ab, sondern seriell und parallel (
incremental ), ansonsten wäre eine direkte Fehlerbehebung während der
Artikulation eines Satzes nicht denkbar. Jedoch ist zumindest die
vorherige Konzeptualisierung für eine “flüssige Artikulation” vonnöten. Die
gegebene Erläuterung des Levelt´schen Sprachverarbeitungsmodells ist
zwar oberflächlich, soll aber für das Folgende ausreichen.[11]
Jedoch hat Levelt in seinem Sprachverarbeitungsmodell etwas außer acht
gelassen: die Gestik.
1.3.2. Gestik: Das Sprachproduktionsmodell von de Ruiter Jan-Peter
de Ruiter hat das Levelt´schen Sprachverarbeitungsmodell um einen Interaktionsfaktor
erweitert: Die Gestik Im
Hörfunk erscheint Gestik für die Informationsvermittlung zwar
irrelevant, da sie für den Zuhörer nicht wahrnehmbar ist, jedoch ist zu
fragen, welche Konsequenzen diese fehlende Wahrnehmung für Sender und
Empfänger hat. Anhand der zu beobachtenden Konsequenzen wäre es
vielleicht möglich, auf die Funktion von Gestik im Gespräch zu schließen.
De
Ruiter stützt seine Überlegungen der Funktion von Gestik auf
Videoaufzeichnungen von Sprechern und ihrer Gestik. Diese
Untersuchungsmethode führte zu keinen “generellen
Aussagen über die Natur der Zusammenhänge von Gestik und Rede”,
denn “verschiedene Sprecher machen unterschiedliche Gesten, und sogar ein
einzelner Sprecher variiert seine Gestik, wenn er über dieselbe Sache
spricht.”[12]
Daher
konnte mittels dieser Untersuchungsmethode nur versucht werden, über das
wie und wann des Auftretens von Gestik während des Sprechens vielleicht
dem Warum etwas näher zu kommen. In
dieser Studie soll eine Zusammenfassung der Ergebnisse de Ruiters genügen[13]
: Nach
de Ruiter sind Gesten für den Sprechprozess weder ein irrelevantes, noch
ein informativ erweiterndes Begleitphänomen, sondern haben eine den
Sprechprozess erleichternde
Funktion: “Zugriff-/Abruf-Hypothese:
Gestik erleichtert den Zugang zu
Repräsentationen im Gedächtnis.”[14]
De
Ruiter beobachtete an Testpersonen, daß Gestik vermehrt auftrat, wenn sie
Bilder ( z.B. geometrische Figuren ) aus dem Gedächnis beschreiben
sollten. Es
trat dagegen keine vermehrte Gestik mit einer Steigerung des
Schwierigkeitsgrades der zu beschreibenden Bilder auf ( z.B. komplexere
geometrische Figuren ). Somit
erleichtert nach de Ruiter Gestik nicht den Sprechproduktionsprozess
selbst (
Encoding-Hypothese ). Der
Anlaß zu de Ruiters bedeutender Annahme einer Interaktion
zwischen Sprechprozess und Gestik waren aber vor allem folgende
Beobachtungen: >Er
stellte fest, daß Gesten nicht - wie Kendon behauptete - erst mit der
betonten
Silbe, sondern “immer vor
dem Sprechbeginn des Wortes”
einsetzten[15].
>Ebenso
war zu beobachten, daß die Geste sich dem Sprechen anpaßt:
“Je später die betonte
Silbe produziert wird, desto langsamer und länger wird die Geste.
Auch wenn die Rede (bei Versprechern) unterbrochen wird, passt sich
die Gestik sofort
wieder an.”[16] De
Ruiter schloß aus diesen Beobachtungen, daß “die
Sprachproduktion erst beginnen [kann], wenn der Gestik-Planungs-Prozess
beendet ist und ein Signal an die Konzeptualisierung sendet.”[17] Somit
sind nach de Ruiter Konzeptualisierung und Planung der Gestik im Levelt´schen
Sprachverarbeitungsmodell der Formulierung der preverbal
message vorzuschalten[18]. Inwiefern
Gestik vielleicht auch Begleitphänomen der Rede ist und wie die
Interaktion von Gestik und Rede im Genaueren funktioniert sind noch in der
Forschung zu klärende Fragen. Nachdem
nun im Groben der Weg von der Intention zur Artikulation klargeworden sein
sollte, ist
im Weiteren zu untersuchen, warum und wie fehlerhafte Artikulation
auftritt. Levelt
führt als Beispiel für sein Sprachverarbeitungsmodell folgenden Satz an,
an dem er auch das wie und warum fehlerhafter Artikulation verdeutlicht: “I
I don’t know the way...play WELL enough sir.”[19] Diese
Aussage war die Antwort eines Studenten auf die Frage, ob Shakespeares
Othello eine Gesellschaftstragödie oder eine Schicksalstragödie ist.[20] Die
Frage verlangt nach einer entweder-oder Antwort ( der Student konnte
zwischen entweder Gesellschaftstragödie oder Schicksalstragödie wählen
), eine andere Antwort, es sei denn ein Eingeständnis des Unvermögens zu
antworten, ist eigentlich nicht denkbar. Da
keine entweder-oder Antwort gewählt wurde, soll die Antwort letzteren
Sinn erfüllen, wie ein Teil der Antwort, I
don’t know, anklingen läßt. Doch
welchen Sinn erfüllen die restlichen Satzteile für die Intention? Nach
Levelt frei und gekürzt zusammengefaßt[21]
: Der
Teil play WELL enough soll
aussagen, daß der Student das Stück zwar kennt, aber nicht gut genug, um
die Frage zu beantworten; gleichzeitig soll aber vermieden werden, daß
der Frage-Antwort- Prozess wegen einer nicht gegebenen Antwort
unterbrochen wird, sondern vielleicht mit einer anderen Frage ( z.B. zu
einem anderen Stück ) weitergeführt wird. Das
sir dient der Höflichkeit, soll
den Fragenden freundlich stimmen und das Eingeständnis des Unwissens
abschwächen. Nachdem
der Student dieses Konzept seiner Intention gebildet hat, sollte man
annehmen, daß einer fehlerhaften Artikulation nichts im Wege stehen
sollte. Doch
der Student beginnt mit I , worauf erst einmal eine Pause folgt. Levelt vermutet, daß die
Pause eintrat, weil eine entgültige Entscheidung über die zu
formulierende Information noch nicht getroffen war. Es
ist schwer zu sagen, ob z.B. das Konzept der Intention vorlag, aber nach
dem Beginn der Artikulation überlegt wurde, ob nicht ein besseres möglich
wäre, also eine mögliche Alternative konzipiert wurde. Ob dem Student
beide Konzepte vor dem ersten I vorlagen
oder ob er während der Pause eine Alternative entwarf, und ob die
artikulierte Intention diese Alternative oder das vorherige Konzept war.
Vielleicht hatte er aber nur ein Konzept, und das Wissen über das damit
eingestandene Unwissen zögerte die Artikulation hinaus, da er das sicher
gern vermieden hätte. Levelt geht an dieser Stelle nicht auf mögliche Gründe
des Zögerns ein. Aber
auf den Versprecher, way...play Well enough sir, geht Levelt ein: Der
Begriff way sollte nicht teil
der message sein, kann also nach
Levelt nicht in der surface
structure auftauchen. Daher nimmt er an, daß eine Vermischung der
phonologischen Modelle von play
und WELL während des
Phonological Encoding passiert sein muß, d.h. das pl- in play
( onset ) wurde vertauscht mit dem W- ( onset ) von WELL.[22] Durch
Self-Monitoring wurde dem Sprecher der Fehler nach Artikulation des Wortes
bewußt, er korrigierte das fehlerhafte Modell ( dieser Vorgang
verursachte die Pause nach way )
und fuhr mit der korrekten Fassung fort, anscheinend beachtend, welche
Teile des Konzeptes schon artikuliert wurden, da er sie nicht wiederholte.
Wahrscheinlich [23] griff er nach der
Korrektur nur die noch nicht artikulierten Zwischenergebnisse aus dem
artikulatorischen Plan auf. Sprechfehler
passieren häufig und auf vielerlei Weise, werden aber in den meisten Fällen
( wenn sie keine organische oder ansonsten nicht korrigierbare Ursache
haben ) noch während der Artikulation der Aussage korrigiert. Die
oft auftretende Pause nach dem zu korrigierenden Wort bzw. Wörtern
ist auch für den Zuhörer bedeutend, sie signalisiert ihm, daß ein
Fehler beim Sprecher aufgetreten ist und eine korrigierte Fassung folgen
wird. Diese Pausen werden oft mit Füllwörtern ( editional expressions )[24]
belegt, da ein Füllwort den Fehler eindeutiger signalisiert als eine
Pause: Zum
einen ist es aufgrund der Akkustik wohl vom Zuhörer leichter wahrnehmbar
und als Fehlersignal identifizierbar, zum anderen verweist es nach Levelt
in manchen Fällen auch auf die Fehlerart ( z.B. ein äh
- engl. er - signalisiert nach James, daß etwas zeitweilig vergessen wurde [25]).
Das
am meisten gebrauchte Füllwort ist “äh”
bzw. “ähm” ( oder auch “eh” bzw. “ehm” in der deutschen
Sprache; es lassen sich aber in den meisten Sprachen vergleichbare finden
).
2. Sinn und Unsinn von Füllwörtern Es
hat sich in Untersuchungen ( 2.1. ) gezeigt, daß im ,normalen’ Gespräch,
aber auch in frei gesprochenen Vorträgen, der Gebrauch von Füllwörtern
wie “äh” und “ähm” von den Zuhörern nicht als störend
empfunden wird -es sei denn, es tritt eine auffällige Häufung von Füllwörtern
auf. Vielfach
wurde von den Zuhörern die Anzahl der benutzten Füllwörter niedriger
eingeschätzt, als tatsächlich der Fall war. Oft konnte die Verwendung
von Füllwörtern nur als “viel” oder “wenig” bewertet werden. Wie
schon gesagt, haben Füllwörter für den Zuhörer eine Signalfunktion und
erleichtern dadurch das Zuhören. Das Signal wird von den Zuhörern aber
nicht bewußt als Fehlermeldung wahrgenommen, der Sinn von Füllwörtern
erschien den Zuhörern zunächst unklar, wie Befragungen zeigten. Wäre
ihnen die Signalfunktion bewußt, hätten sie wahrscheinlich auch jedes
Signal bewußt gespeichert, eine Fehleinschätzung der Anzahl wäre dann
kaum denkbar. Auch
Levelt schränkt seine Definition von Füllwörtern als Signale ein: “The
interjection er apperently
signals that at the moment when troble is detected, the source of the
trouble is still actual or quite recent. But otherwise, er
doesn’t seem to mean anything. It’s a symptom, not a sign.”[26] Füllwörter
scheinen also eine Funktion, mehr oder weniger bewußt, für den
Sprechprozess zu haben. Wenn die Funktion Fehler signalisierend ist, warum
wird dieses Signal, wenn es gehäuft auftritt, als störend empfunden? Liegt
es daran, daß es ein akkustisches Signal ist und dadurch
dem Zuhörer bewußter wird, wenn es gehäuft auftritt? Wenn ja, stört
dann die Akkustik an sich, wie ein Piepton, den wir erst mit der Zeit
wahrnehmen und der weiter anhaltend als störend empfunden wird, oder stört
der durch Fehler häufig unterbrochene Sprechprozess bzw. strengen diese
Unterbrechungen das Zuhören zu sehr an? Diese
Fragen lassen sich am Beispiel Hörfunk am besten untersuchen, da der Zuhörer
allein auf die Akkustik angewiesen ist. Der
Hörfunk soll Informationen vermitteln, bemüht sich aber auch um
Unterhaltung. Wie kann dieses Ziel allein über die Akkustik erreicht
werden? Welche Kriterien muß Hörfunksprache erfüllen? Und vor allem: Sind
Füllwörter in Hörfunkbeiträgen störend oder nicht? Im
Folgenden wird eine der schon erwähnten Untersuchungen präsentiert, die
diesen Fragen nachgegangen ist. 2.1. Füllwörter in Hörfunkbeiträgen Die
folgenden drei detailliert transskribierten Hörfunkbeiträge ( Interviews
)[27]
wurden für das Seminar “Ähm, was
ich sagen wollte...”, für das auch diese Studie ist, aufgenommen
und den Seminarteilnehmer/Innen vorgespielt ( am 30.05.01 ). Die
Seminarteilnehmer/Innen wurden aufgefordert, auf Besonderheiten, Auffälligkeiten
im Bezug auf: >Form
der Satzstruktur/des Gedankengangs ( nachvollziehbar/konfus ) >Stimmlage
( hoch /tief ,
angenehm/unangenehm ) >Sprechtempo
( schnell/langsam ) >Sprechfehler
( Lispeln, Stottern, Versprecher, u.ä. ) >Füllwörter
( äh/ähm, eben, halt, ja, und so, u.ä. ) zu
achten sowie sich zu merken, ob sie sprachlich etwas als störend
empfanden und wie sie den jeweiligen Beitrag allgemein werten würden. Zu beachten ist für das Folgende, daß die Seminarteilnehmer/Innen durch den vorherigen Seminarablauf schon ein “geschulteres Ohr” für Füllwörter und andere Auffälligkeiten entwickelt hatten.
Ausgewählte Hörfunktexte: Interviewsa) Sender: Hochschulradio DüsseldorfRadiosprecher: Marcel Anders Interviewter: Kai Nils Thema: Migräne
.... Marcel:
Beate litt also½
mehr-e-re Jahre lang
unter einer recht schweren Migräne,
auch
Kai ( lauter )
NIls, Mitarbeiter hier bei
Hochschulradio DÜsseldorf, ist
jetzt schon
seit Über 10 Jahren von der Migräne ( Sprechtempo schneller : )
betroffen und jetzt
hier im Studio ( ).
Hallo, Kai Nils. Kai:
Hallo, Marcel Marcel:
( gleichbleibend betont
: )Wie äußert sich denn die Krankheit bei dir? Kai:
(
atmet ein ) Ja, bei mir,
äh, ich
hab´ die Krankheit jetzt
eben seit über 10 JAhren,
und das äußert sich dadurch,
daß ich, äh,
SEhstörungen bekomme- am Anfang,½
( atmet ein ) und das geht dann so
eine halbe StUnde, und
dann, äh,
sind die
Sehstörungen vorbEI ( ),
und ich habe eben für, ja,
EInen Tag, manchmal bis zu drEI
Tagen,( atmet ein ) Kopfschmerzen und Übelkeit (
). ½½
( atmet ein )Und, äh,
ja, das äußert sich
dann eben auch dAdurch, daß ich
mich
schlApp fühle und,
äh, auch,
äh, schlecht
konzentrIeren kann, wie eben
grade die
Beate, äh, ( atmet
ein )das bringt natürlich - auch Probleme für die Uni ( ). Marcel:
Also,
du sprichst ja schon einen Bereich des Alltags An, äh, ( atmet ein ) welche
Bereiche sind denn im Alltag überhaupt dadurch betrOffen?½
Äh ( fast kein Laut, eher Verschluß ), äußert es sich wirklich
sehr stArk für dich im
Alltag an der Uni, ( Sprechtempo schneller : ) in der Freizeit,
oder, ja, generell auch
( ), äh, daß du
Migräne hAs´, und daß du dann auch mal sagen mußt, ”Ich kAnn
heut an keinen Veranstaltungen teilnehmen, ich kAnn heut nich´ mit
euch ins Kino
gehen”, oder so- Kai:
Ja- - Marcel:
- ich hab´ Migräne ( ). ...
--------------------------------------------------------------------------- Bewertung
und Erklärungsversuch Die
Seminarteinehmer/Innen empfanden den Interviewer
Marcel Anders anfangs als “angenehm” bzw. “normal” sprechend,
jedoch “unprofessionell”.[28]
Er war zwar gut zu verstehen, d.h. sprach ihrer Meinung nach weder zu
schnell noch zu langsam, jedoch wirkten seine Aussagen zu
“gestelzt/unnatürlich”. Allerdings hatte Marcel auch nur von der
vorher Interviewten zum nächsten überzuleiten und eine Frage zu stellen.
Er mußte also keine großen Denkakte bewältigen, da er die Informationen
über den nun zu Interviewenden sicher auf dem Papier stehen hatte oder
sich kurz vorher hatte erzählen lassen ( denkbar, da der Interviewte auch
Mitarbeiter beim Hochschulradio ist
). Die Frage dürfte ebenfalls auf einem Blatt gestanden haben ( zumindest
dürfte der Interviewer sich Stichpunkte notiert haben, im Hörfunk wird
kaum ohne Textvorlage gearbeitet ). Marcels
zweite Fragestellung wurde dagegen als “wirr” empfunden, es traten Füllwörter
auf ( drei, von den meisten
Seminarteilnehmer/Innen richtig geschätzt ), die Satzstruktur wirkte
“konfus”. Es
ist denkbar, daß Marcel Stichpunkte wie “Einschränkungen? Generell,
Alltag, Uni, Freizeit,” auf dem Papier vor sich hatte oder schon vorher
mit dem Interviewten über diese Punkte gesprochen hatte, denn nachdem er
erst allgemein nach Alltagsproblemen aufgrund von Migräne gefragt hatte,
gab er - ohne dem Interviewten vorher Zeit für eine Antwort zu lassen -
Beispiele vor, die nur mit “ja” oder “nein” beantwortet
werden konnten. Warum
ließ der Interviewer Kai Nils keine Zeit zu antworten, sondern gab mögliche
Antworten vor? Möglich, daß er auf diese Weise ein Problem bewältigen
wollte, das ein grundlegendes Problem des Hörfunk ( aber auch des
Fernsehens ) ist: Die
Sendezeit. Stefan
Wachtel, der einen Ratgeber für Hörfunktexte herausgegeben hat[29],
sieht das Problem, möglichst viele Informationen in möglichst kurzer
Zeit vermitteln zu wollen, als eines der
Hauptprobleme des Hörfunk an. Diesem Problem versucht man mittels
der von ihm kritisierten Technik der “Verdichtung” Herr zu werden: “Fürs
Hören schreiben läßt sich nicht sinnvoll als Methode der sprachlichen
Informationsverdichtung begreifen.”[30] Läßt
sich also der “konfuse” Satzbau des Interviewers mit diesem Problem in
Verbindung bringen? Viele Informationen vermitteln zu wollen scheint ohne
Textvorlage bei geringer Sendezeit kaum möglich, sich Pausen zum Überlegen
zu nehmen oder langsames Sprechen fällt unter Zeitdruck sicher schwer.
Trotzdem soll frei gesprochen, d.h. nicht die Textvorlage vorgelesen
werden ( es sei denn in Nachrichten ). Ist also das freie Sprechen unter
Zeitdruck das Problem? Stefan
Wachtel sieht das Problem nicht im Unvermögen des Sprechers frei zu
sprechen, sondern in dem Prozess, einen informativ dichten Text über freies Sprechen verständlich
für den Zuhörer zu vermitteln: Informieren aus Lautsprechern
findet seine Grenze am Hörverstehen.[31] Schreiben, Vorlesen, Sprechen, Hören?
(...) Wer liest, kann auswählen, beiseite legen. wer hört, ist dagegen
unmittelbar ausgesetzt, bekommt oft genug nur Information pur. Ein >Zurückhören<
ist nicht möglich, und auch das nachträgliche >Zurechthören< mühsam,
besonders mit unverbundenen und dichten Informationen.[32] Woran
liegt es aber, daß der Zuhörer “verdichtete” Informationen nicht
versteht? Darauf wird an anderer Stelle noch einzugehen sein ( 2.1. b), S.
14f. ). Es
wäre jedenfalls für den Hörer wahrscheinlich besser gewesen, wenn der
Interviewer nicht den “Alltag”, sondern die “Uni” als Aufhänger für
die nächste Frage genommen hätte. Nach der Freizeit hätte er dann im nächsten
Schritt fragen können. Das
Konzept eines Interviews sollte vielleicht nicht zu “dicht” geplant
sein, sonst gerät der Interviewte bei der geringsten Abweichung aus dem
Konzept, wie die Antwort auf die erste Frage des Interviewers zeigt: Die
Frage lautete: “Wie äußert sich denn die Krankheit bei Dir?”, worauf
der Interviewte Kai Nils schon
am Anfang aus dem Konzept geriet: “Ja,
bei mir, äh, ich hab’ die Krankheit jetzt eben
seit über 10 Jahren, und das äußert sich...” Entweder
war der Satz ich hab die Krankheit seit über 10 Jahren als Anfang geplant
gewesen, konnte aber nach der erwähnten Frage nicht als Anfang benutzt
werden, d.h. der Interviewer hätte dessen Dauer der Krankheit in der
Anmoderation des Interviewten nicht erwähnen, sondern als erste Frage
formulieren müssen, oder der Interviewte hatte eine Gedankenlücke
bzw. war unvorbereitet und hat die Lücke
spontan mit dem Teil der Anmoderation gefüllt,
der etwas mit seiner Krankheit zu tun hatte. Ein
weiteres Problem könnte gewesen sein, daß der Interviewte das, was er
sagen wollte, mit dem
vorher von Beate Gesagten
verglich - der letzte Teil der Antwort läßt das vermuten: “...schlecht
konzentrieren kann, wie eben die
Beate, äh, das bringt natürlich auch Probleme für die Uni.” Es
ist schwer zu sagen, ob ihm Beates Aussagen zur Migräne erst an dieser
Stelle einfielen, oder ob er auch schon vorher unbewußt verglich, um
nicht zuviel zu wiederholen, was sie schon gesagt hatte. Es sei aber an
dieser Stelle daran erinnert, daß auch Levelt darauf verwies, daß bei
der Konzeptualisierung einer Aussage vorher Gesagtes mitbedacht wird (
siehe 1.3.1., Conzeptualizing ). Zumindest
scheint klar, daß die Häufung von Füllwörtern belegt, daß der
Interviewte Schwierigkeiten bei der Konzeptualisierung seiner Aussagen
hatte, sie kamen ihm zumindest nicht “flüssig von den Lippen”; auch
die Seminarteilnehmer/Innen bewerteten seine Aussagen als “ nicht flüssig”,
“konfus”, “verwirrend”. Die
Seminarteilnehmer/Innen empfanden auch die häufig auftretenden
“äh”s als störend; die Schätzung der Anzahl gebrauchter Füllwörter
fiel aber unterschiedlich aus: Die
meisten schätzten sieben, wenige fünf und nur einer zwölf ( die
korrekte Anzahl war dreizehn ) Füllwörter. Trotz schon wie erwähnt
“geschultem Ohr” war also die genaue Anzahl kaum wahrzunehmen, jedoch
waren sich alle einig, daß es zu viele waren. Die
“und-Reihung” viel zwar auch auf ( fast jede Aussage begann mit
“und” ), aber nicht so sehr wie die Füllwörter. Möglich,
daß das daran liegt, daß ein “und” eine eindeutige Funktion im Satz
erfüllt; es ist keine Unterbrechung, sondern ein Verbindungswort.
Vielleicht liegt es aber auch daran, daß ein “und” akkustisch
angenehmer ist, mehr “verschluckt” wird. Da
die Seminarteilnehmer/Innen nur Zuhörer, nicht auch Zuschauer sein
konnten, fehlte ihnen zur Beurteilung Gestik und Mimik der Sprecher. In
der nächsten Untersuchung mußte auch die Interviewte auf diese
Hilfsmittel zur Verständigung verzichten, daher wird im Folgenden der
Bedeutung von Gestik vielleicht näher zu kommen sein.
Radiosprecher: Christoph
Flach Interviewte: Meret Becker (
am Telefon ) Thema: Amnesty International
Christoph:
[ Amnesty Inter- ]national hat GebUrtstag. Seit 40 ( ) Jahren gibt es die
Organisation, die sich
ja auf der gAnzen Welt,
äh, denen gewidmet hat,
die ( Sprechtempo schnell : ) irgendwie eingesperrt sind, die
gefoltert
werden, unterdrückt werden oder deren Freiheit sonst irgendwie
eingeschränkt. ( atmet kurz tief ein ) Amnesty International
arbeitet mit
sehr vIelen
festen und freien
MitarbeitErn, und dazu gibt
es prominente
Botschafterinnen und Botschafter (
), ( Sprechtempo
schnell : )die die
Organisation bekAnnter machen sollen und auch vertreten. Zum
Beispiel
auch Meret ( beide e’s von Meret kurz ) Becker,
eine unserer bekanntesten
SchauspielerInnen, ist Botschafterin fÜr Amnesty International.
( Sprechtempo schnell:
) Tach, Meret ( ). Meret:
Ja, hi,
Me ( langes e )ret, kurz
gesprochen, ha,ha-
Christoph: ( atmet ein )
Kannst Du mal kurz
uns erklären, wie
diese Arbeit von
Amnesty äh , genau
aussieht. Man hört ja ImmEr, äh, Leute, die
zum
Beispiel im Gefängnis sitzen
oder da gefoltert werden, ( Sprechtempo
schnell : ) denen wird geholfen. Aber wie geht das genau (
)?
Meret: Ähm, ( atmet ein ) also
wie das jetzt( sehr schnell und kaum verständlich :),
ich glaub’
das ufert zu sehr, (
langsamer, aber immer noch schell : ) was –
was vielleicht glaub’
ich ganz wIchtig ist, wie die arbeiten,
is´ , daß die,
( atmet ein ) ähm, man kennt immer so
die grOßen Fälle, also wo, äh,
jetzt irgendein F-Führer von ( atmet ein ) einer Re-Re- - weiß
ich nich´,
irgendwelchen GEgnern ( atmet ein, Sprechtempo schneller :
)gefangen
genommen wird, und das
kennt man dann in - ,
das is´ dann auch bekannt,
und so,
und da kann ( atmet ein ) Amnesty ( Sprechtempo schneller : )
natürlich relativ viel machen.
Wo die aber, ( atmet ein ) ähm, äh, ( atmet ein ) wirklich auch
zum Einsatz
kommen, is´ bei Leuten, die so
in der Menge Untergehen, also klEIne
Leute, ( atmet ein ) sag´
ich mal, die-die, äh,
von da weggenommen
werden in Ländern, wie-wo viel Ungerechtigkeit herrscht, und
so ( atmet
ein ) und, äh, in Gefängnissen
landen, völlig unschuldig, und kEIner wEIß
davon, keiner tut dagegen wAs, ( atmet ein ) und die sorgen eben
dafür, daß
das bekAnnt gemacht wird, und
dadurch kommt der Staat
quasi,
in dem
das passiert, ( atmet ein ) wird in die Enge getrieben, weil der
hAt ja,
( atmet ein ) der muß sich ja
Auch benehmen, in irgend´ner Form, und an
Regeln halten ( ). ...
------------------------------------------------------------------------------ Bewertung
und Erklärungsversuch
Die
Seminarteilnehmer/Innen empfanden das Zuhören bei Interviewer
Christoph Flach angenehmer als bei Marcel
Anders. Obwohl er sehr schnell sprach, konnten sie ihm noch gut
folgen. Manche empfanden ihn sogar als “ruhig sprechend”. Er benutzte
kaum Füllwörter (
nicht viele “äh”s ), sein Satzbau wirkte im Allgemeinen gut
strukturiert. Fast allen fiel der “schiefe” Satzbau an einer Stelle
auf: “Kannst
Du mal kurz uns erklären...” Wie
kann es sein, daß Christoph trotz schnellen Sprechtempos besser zu
verstehen war als Marcel, dessen Sprechtempo als “angenehm” empfunden
wurde? Anscheinend
macht die Art des Sprechens im Bezug auf die Betonung und den Satzbau mehr
aus als das Sprechtempo. Marcels Betonung wurde als “gestelzt/unnatürlich”
empfunden, Christophs als natürlich. Vergleicht man Marcels zweite Frage
– seine Anmoderation ist für einen Vergleich zu kurz – mit Christophs
Anmoderation, so fällt auf, daß Christoph weniger Füllwörter
gebrauchte als Marcel, obwohl Christophs Aussage länger war ( Marcel fünf,
Christoph zwei Füllwörter ). Christophs Aussagen sind “flüssiger”,
er unterbricht den Satz nicht in seinem Verlauf. Marcel dagegen unterbrach
sich mehrmals, wahrscheinlich in dem Bemühen, den Alltag
überhaupt (...) generell,
und im Besonderen an der Uni, in der
Freizeit, in einer Aussage unterzubringen. Es
ist anzunehmen, daß Christophs “schiefer” Satzbau gerade deswegen
auffiel, weil er ansonsten “flüssig” und gut strukturiert sprach,
denn Marcels Aussagen wurden “nur” allgemein als “konfus”
charakterisiert: An welcher Stelle Marcels Satzbau “schief” war,
konnten die Seminarteilnehmer /Innen nach dem ersten Hören noch nicht
sagen, sondern erst nach einem zweiten Durchlauf . Vergleicht
man Christophs Anmoderation mit seiner zweiten Aussage, die mit seiner
ersten Frage an Meret Becker endet, zeigt sich sehr deutlich, daß das Füllwort
“äh” ein Fehlersignal sein kann, aber nicht muß: Das
“äh” in der Anmoderation unterbricht den bis dahin im Bezug auf den
Satzbau richtig formulierten Satz akkustisch, obwohl der Satz nach der
Unterbrechung unverändert, d.h. wie es der bis dahin vorgegebenen und
artikulierten Satzstruktur entspricht, weitergesprochen wird. Warum
tauchte dann ein “äh” auf ? Alle gesuchten Gründe wären spekulativ,
da der Satz keinen feststellbaren Fehler aufzeigt. Christoph atmete weder
hörbar ein, noch war vor oder nach dem
“äh” eine auffällige Pause; es wurde nicht lang, sondern kurz
ausgesprochen. Spekulationen werden daher an dieser Stelle unterlassen[33]. In
Christophs zweite Aussage wird das “äh” als Fehlersignal deutlich: “Man
hört ja immer, äh, Leute, die zum Beispiel im Gefängnis sitzen (...),
denen wird geholfen.” Der
Teil nach dem “äh” : Leute, die (...), denen wird
geholfen. hat
einen “schiefen” Satzbau; wahrscheinlich sollte der Satz lauten: “...,
daß den Leuten, die (...), geholfen wird” oder: “...,
daß denen geholfen wird, die (...).” Es
ist also im Sprechprozess ein Fehler aufgetreten, der dem Zuhörer
signalisiert wird. Warum konnte Christoph diesen Fehler nicht korrigieren? Vielleicht
konnte Christoph sich nicht schnell genug für eine der oben genannten
Alternativen entscheiden, ein Hauptsatz mit Relativsatz erfordert eine größere
Denkanstrengung, denn das Sprechdenken
ist reihend, nicht kombinierend. Vielleicht hatte er als Stichwort auf
einem Blatt einen fertigen Satz, den er nun ins Mündliche zu übersetzen
versuchte: Nach
Stefan Wachtel würde man sagen, daß Christoph nicht aufgrund
sprecherischen Unvermögens scheiterte, sondern aufgrund des Versuchs,
Schreibdenken in Sprechdenken umzusetzen. Der Fehler entstand daher
vielleicht aufgrund des Hörfunktextes bzw. an Stichworten in der Form
komplexer Sätze, die Christoph wohl vor sich hatte. Texte dieser Art sind
schwer frei zu sprechen und ebenso schwer hörend zu verstehen: “Verstehen
wird nicht gerade leichter dadurch, daß der Weg über einen
vorformulierten Text führt - es wird im Gegenteil erschwert, denn
Schreiben ist eine ,Monolog-Sprache’ ”[34]
:
Den Kern des Satzes auf Anhieb zu sehen ist beim Lesen nicht
grundlegende Bedingung wie beim Hören. Die Kombination aus analytischem
Vorausdenken
( der Einfall ) und synthetischem Satzkonstruieren ( die langsamere Ausarbeitung des Satzes
) des Schreibdenkens hat zur Folge, daß geschriebene Sätze zwar
lesend verstanden, oft aber nicht sprechend einfach reproduziert werden können.
Das Hören von Schreibstilen ist schwer, weil das Schreibdenken nur zum Leseverstehen, nicht zum Hörverstehen paßt.[35] Ist
denn das Sprechdenken so verschieden vom Schreibdenken? Heißt Sprechen
denn nicht Einfälle zu Sätzen ausarbeiten und aussprechen ( Analyse und
Synthese wie erwähnt, dann Artikulation )? Wie
eine Aussage entsteht, wurde nach Levelt bereits erklärt. Doch wie sieht
es mit einer Reihe von komplexen Aussagen aus? Schreibdenken
und Sprechdenken verlaufen nach Stefan Wachtel annähernd gleich, der
Unterschied liegt nur in der Form der Verknüpfung
von Aussagen: Das
Sprechen reiht die Sätze der Analyse entsprechend aneinander, d.h. zeitlich
gegliedert, schrittweise, linear.[36] Das
Schreiben aber fügt dem noch einen Schritt hinzu: es kombiniert die Sätze
nach Verknüpfungsregeln, die
Ausarbeitung eines Satzes geht langsam
vonstatten, andere Gedankengänge
treten beim Schreiben des Satzes noch hinzu und ändern
die ursprüngliche Satzrichtung.[37] Die
Folge: Die Sätze werden “länger
und dichter: mehrere Gedankenschritte, mehr Satzglieder und damit mehr
potentielle Betonungen. Oder es werden Nebensätze eingeschoben; der Satz
wird >tiefer< als er es beim Sprechen wäre”[38]. Nach
Stefan Wachtel sind unterordnende Nebensätze – wie z.B. die von
Christoph versuchte Relativsatz-Verknüpfung - untypisch für das
Sprechdenken: Teilsätze
gehen beim Sprechdenken “keine komplexeren Beziehungen” zueinander
ein; daher sollten die Nebensätze “möglichst nebenordnend, nicht
unterordnend sein.”[39] Also
hätte Christoph sich vielleicht besser nur Stichworte oder einfache Sätze
aufschreiben sollen. Die
Interviewte, Meret
Becker, hatte dagegen wahrscheinlich keinen Text vorliegen, war
vielleicht sogar völlig unvorbereitet. Es konnte leider nicht in
Erfahrung gebracht werden, ob sie auf einen Anruf von 1Live
vorbereitet war. Falls ja, wurde es vielleicht sehr kurzfristig vereinbart
oder es wurde ihr nur das Thema genannt, der Ablauf des Interviews aber
nicht abgesprochen. Alle
Seminarteilnehmer/Innen empfanden ihre Aussagen als “unüberlegt/konfus/schwer
verständlich”, sie wirkte “unvorbereitet”.[40]
Ein
Indiz dafür, daß Meret vielleicht unvorbereitet war, wären vielleicht
die in einigen ihrer Aussagen eingeschobenen Ausdrücke
des Glaubens, Wissens und Sagens: Zweimal
schob sie ein glaub’ ich bzw. ich glaub’
ein, einmal ein weiß ich nich´,
einmal ein sag ich mal. Ein
anderes Indiz ist vielleicht die auffallende Häufigkeit verwendeter
“Allgemeinwörter/unbestimmter Pronomen” ( sehr häufig:
“irgendwelche/r/s” ) in ihren Aussagen. Merets
Aussagen wirkten auf die Seminarteilnehmer/Innen sehr “spontan”, ihr
Redefluß war “häufig unterbrochen”, die auffallende Häufung von Füllwörtern: >äh/ähm:
7 >also:
2 >so:
1 >und
so: 2 >eben:
1 >ja:
2 >quasi:
1 wirkte
sehr störend ( wieder fiel die Schätzung sehr unterschiedlich aus ),
ebenso die oft fehlenden Satzabschlüsse ( z.B. vermieden durch “und
so” ) bzw. neuen Satzanfänge vor Vollendung des vorhergehenden Satzes.
Einige Seminarteilnehmer/Innen bezeichneten ihre Sätze als “Bandwurmsätze”.[41] Auffallend
war auch ihr rasantes Sprechtempo, sie wirkte “nervös/gehetzt/außer
Atem”. Oft traten ihre Atempausen an untypischen Satzstellen, d.h.
mitten im Satz bzw. Teilsatz auf. Außerdem
traten einige Versprecher im Wort auf, d.h. sie wiederholte Silben, wirkte
“stotterhaft”. Anscheinend
hatte sie nicht das Problem, Schreibdenken in Sprechdenken umzusetzen,
ihre Aussagen wirkten ausschließlich sprechdenkend. Außerdem war im
Hintergrund eine Kinderstimme zu hören, vielleicht lenkte sie das Kind (
es ist bekannt, daß Meret Becker ein Kind hat ) zu sehr ab, um
konzentriert zu denken/sprechen. Eine
Erklärung für ihr schnelles Sprechtempo wäre die genannte Ablenkung (
vielleicht wollte sie wegen des Kindes das Interview möglichst schnell
beenden ), eine andere wäre, daß sie sich vom Interviewer, der wie erwähnt
auch sehr schnell gesprochen hatte, mitreißen ließ. Das
schnelle Sprechtempo verursachte wohl auch die oft ( und häufig an
untypischen Satz- stellen
) auftretenden Atempausen. Vielleicht
hätte es Meret geholfen, wenn sie ihren Gesprächspartner hätte sehen können,
d.h. Gestik und Mimik des Interviewers hätte wahrnehmen können. Dann wäre
sie nicht nur auf ihre eigene Wahrnehmung angewiesen gewesen, sondern hätte
ihre Sprechfehler auch vom Zuhörer signalisiert bekommen ( Miene des
Unverständnisses ). Da
Meret wahrscheinlich einen Hörer hielt, war auch ihre eigene Gestik wohl
nur eingeschränkt möglich. Außerdem gestikuliert man wohl ohne ein
Gegenüber weniger. Daher kann die Häufigkeit der gebrauchten Füllwörter
auch an verhinderter Gestik liegen.[42]
Wie
erwähnt, erleichtert Gestik den Sprechprozess.[43]
Vielleicht hätte Meret mit der Möglichkeit der Gestik weniger
Sprechfehler gehabt, da sie dann leichteren Zugriff auf die Repräsentationen
gesuchter Begriffe in ihrem Gedächtnis gehabt hätte.
Vielleicht
wäre es aber grundsätzlich besser gewesen, wenn sie das Gespräch
verschoben oder abgesagt hätte, da für den Zuhörer, so die
Seminarteilnehmer/Innen, “der Inhalt kaum rüberkam”. Die nächsten Untersuchung liefert ein gutes Beispiel für eine lockere Gesprächssituation, die das Sprechdenken im “normalen” Gespräch deutlich macht.
Radiosprecherin: Rebecca Link Interviewte: Die Band “Seeed” Thema: Live spielen Im
Vorhergehenden wurde Seeed zu seinen Auftrittsorten befragt. ....
Seeed: ...,
so, ich g- ich glaube mal, oder ich hOffe auch mal,
in einem der ZElte
(
-lach- ), Rebecca:
-lach- Seeed: - wo´s ´n bißchen intImer is´
- Rebecca:
- lach- Seeed:
- und, ähm, - Rebecca:
Du-du möchtest nIch´ gerne vor 100.000,
oder wie - ? Seeed:
NEE, ab´ner gewissen Größe,
find´ ich, fEtzt es
auch nich´ mehr so richtig
(
), also
muß, ich weiß nich´,
das m-mögen andere Leute
Anders seh´n, ich
find dann immer, das artet
dann eher so in
gemeinschaftliches
fernseh´n aus, man guckt auf irgendwelche VIdeoscreens, weil man
( - lach - ) v- von der Bühne Eh nischt sieht, oder
die Leute darauf winzig
sind, ( atmet ein ) ähm, egal (
). ½½
Auf jeden Fall, äh,
ähm, ja
genau, LIve spielen, Live
spielen, LIve
spielen( ) und,
ähm, im HErbst gehen
wir wieder auf TOUr, ½
so – ½also
wenn die
Festival-Saison vorbei is´ ( ,
atmet ein ). Rebecca:
Also, man kann
zusammenfassen, wer dIeses Jahr behauptet, er hätte euch
nirgendwo erwIschen können, der
lügt einfach und hat sich bloß gedrückt. Seeed:
- lach- , hm, pfh, das klingt jetzt besonders hArt- Rebecca:
- lacht- , nEIn- Seeed:
Ja
was, ( Sprechtempo schneller : ) also
auf jeden Fall sind wir in allen
Gegenden- Rebecca
gleichzeitig: ( atmet ein ) Es
gibt genug Möglichkeiten- Seeed:
- Deutschlands, auch Österreichs und Schweiz,
äh, dieses Jahr zu
sehen
(
). Rebecca:
Meine Herren, vielen
Dank für´s VorbEIschauen ( )- Seeed:
Nichts zu danken, hm--- ...
----------------------------------------------------------------------- Bewertung und Beurteilung
Die
Interviewsituation gerät zum Ende des Interviews, das hier transskribiert
wurde, in eine lockere Gesprächssituation, veranlaßt durch die persönlicheren
und humorvollen, aber vom Thema ablenkenden Aussagen Seeeds. Das
Gespräch wird emotionaler, erkennbar an Emotionslauten wie auftretendes
Gelächter und Laute wie z.B. “pfh”, “hm”. Insgesamt
empfanden die Seminarteilnehmer/Innen das Gespräch “flüssig” und
“ungezwungen”, obwohl sie einige Auffälligkeiten bemerkten: Die
Aussagen von der Interviewerin Rebecca Link sind “umgangssprachlich”, sie
“verschluckt” Endsilben und beendet ihre Frage mit einer Phrase: ...,oder
wie- ? Sie
unterbricht den Sprecher von Seeed und wiederholt an dieser Stelle das
erste Wort: Du-du
möchtest nich´gern... Durch
die Wiederholung möchte sie wohl die Aufmerksamkeit auf ihre Frage lenken
und den Sprecher von Seeed vom Weitersprechen abhalten. An
einer anderen Stelle unterbricht sie ihn, da sie spontan eine Aussage
Seeeds mit “nein” ablehnt. Zum
Ende unterbricht sie seine Aussage, um das Ende des Interviews durch die
Verabschiedung zu signalisieren. Der
Sprecher von Seeed unterbricht sie ebenfalls, reagiert auf ihren
Widerspruch. Auch er spricht umgangssprachlich, er benutzt Ausdrücke des
Meinens und Wissens ( find´ich, ich
weiß nich´ ) . An den Betonungen ist ein Dialekt erkennbar. Auch er
“verschluckt” Endsilben. Bei
Seeeds Aussage nach Rebeccas erster Frage gerät sein Sprechdenken oft ins
Stocken, es treten Wiederholungen von Anfangslauten, Satzbrüche bzw. neue
Satzanfänge im noch nicht beendeten Satz
und vermehrt Füllwörter auf. Er scheint nach Worten zu suchen,
weiß anscheinend nicht mehr, was er sagen wollte und beendet den ersten
Teil der Aussage mit “egal”. Nach
kurzem Überlegen - die Gedankenlücke mit “äh”s/”ähm”s und
lautem Denken ( “ja genau” ) gefüllt - findet er zum ursprünglichen
Thema ( Live spielen ) zurück. Doch
da er, so die Seminarteilnehmer/Innen, langsam sprach, konnte man ihm
“gut folgen”. Trotz der sich häufenden Füllwörter und schlechten
Satzstruktur empfanden die Seminarteilnehmer/Innen diese Unterbrechungen
nicht als störend. Anscheinend ist im lockeren Gespräch das Zuhören nicht durch Füllwörter oder Versprecher gestört, wenn langsam genug gesprochen wird. Dem Sprechdenken kann das Hörverstehen, wie schon erwähnt, folgen.[44]
2.2. Sinnige Füllwörter, unsinnige Füllwörter? Wer
also im Hörfunk Informationen vermittelt, sollte sich Stichpunkte nur in
einzelnen Worten machen, um möglichst frei zu sprechen, d.h. die
wichtigsten Informationen sprechdenkend neu zu konzeptualisieren. Auf
diese Weise werden seine Aussagen hörverstanden, es wirkt spontaner und
dadurch authentischer, das bedeutet, auch glaubwürdiger[45].
Man
sollte sich Zeit zum Überlegen nehmen, da auch das Sprechdenken möglichst
“flüssig” sein sollte, um verstanden zu werden, vor allem, wenn
komplexere Informationen, wie z.B. in der zweiten Untersuchung ( Amnesty
International ), vermittelt werden sollen. Nicht vorbereitet zu sein und
Nervosität erschweren das Sprechdenken bei schwierigeren Themen, dann häufen
sich Füllwörter; oft wird in solchen Fällen auch die Atmung beeinträchtigt,
man atmet an untypischen Satzstellen und fördert damit Versprecher. Das
Sprechtempo sollte nicht zu schnell sein, bei schwierigeren Themen noch
langsamer als bei lockeren Themen/Gesprächssituationen. Füllwörter
stören nicht, es sei denn, sie trete extrem häufig auf. Sie dienen auch
dem Zuhörer als Fehlersignal: Die
zwei untersuchten Beispiele ( siehe 2.1. b) “äh” , eventuell anstelle
von “daß” und c) “äh”
als Lückenfüller für “Live spielen” ) zeigen, daß James mit seiner
Vermutung recht haben könnte, daß “äh”s signalisieren, daß etwas
zeitweise vergessen wurde[46], entweder bestimmte Wörter
oder Satz- bzw. Teilsatzkonzeptionen. Wer
für das Hören schreibt, sollte sprechdenkend schreiben; der Ratgeber von
Stefan Wachtel zu diesem
Thema ist nur zu empfehlen.[47]
Transskriptionszeichen
Sehr
lange Pause: ½½ Lange
Pause: ½ Kurze
Pause: oder:
- Sprechmelodie
steigend/ Stimmlage hoch: Sprechmelodie
fallend/ Stimmlage tief: Auffällige
Vokalbetonungen/ Stimmhebung: nicht
grammatisch bedingte Großbuchstaben
( z.B. HErbst ) Auffällige
Konsonantenbetonungen: fettgedruckte
Großbuchstaben ( z.B. Botschafter ) Ansonsten Kursivschrift bzw. Fettdruck von Füllwörtern und Phrasen zur Hervorhebung.
LiteraturverzeichnisJames, D.: “Another look at, say, some grammatical constraints on, ok, interjections and hesitations”, Papers from the Ninth Regional Meeting, Chicago Linguistik Society, 1973 James, D.: “Some aspects of the syntacs and semantics of interjections”,Papers from the Eights Regional Meeting. Chicago Linguistic Society, 1972 Kunzmann, Peter/ Burkard, Franz-Peter/ Wiedmann, Franz (Hg.): “dtv-Atlas Philosophie”, Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München, 1998, 7. Aufl., S. 39-41
Levelt, Willem J.M.: “Speaking. From intemtion to articulation.” The MIT Press, Cambridge, Massachusetts, 1989 Pabst-Weinschenk, Dr. Marita: “Jan-Peter de Ruiter: Gesture and speech production, Nijmwegen, 1998 (ISBN 90-76203-05-9)”, SoSe 2001, freie und leicht gekürzte Übersetzung von S. 101-105, incl. Grafik sowie Auszug aus : Seyfiddinipur in: Max-Planck-Institut (MPI) Annual Report 2000, 5.1
Wachtel, Stefan: “Schreiben fürs Hören: Trainingstexte, Regeln und Methoden” ( Reihe Praktischer Journalismus, Bd. 29 ), UVK Medien, Konstanz, 1997 Werani, Anke: “Der Sprecher als Interaktionspartner”, in: Rea Triyandafilidis, Ivana Ventresca & Felix Pfeffer ( Hg. ): Das Sprachverarbeitungsmodell von Levelt, Sprechwissenschaft und Psycholinguistik an der LMU-München, www.psycholinguistik.uni-muenchen.de/seminar/levelt.html, S. 1
Werani, Anke: “Modelltheoretische Grundlagen der Sprachverabeitung”, in: Rea Triyandafilidis, Ivana Ventresca & Felix Pfeffer ( Hg. ): Das Sprachverarbeitungsmodell von Levelt, Sprechwissenschaft und Psycholinguistik an der LMU-München, www.psycholinguistik.uni-muenchen.de/seminar/levelt.html, S. 1
Stephanie Spichala Sommersemester 2001
[1] vgl. Anke Werani: “Modelltheoretische Grundlagen der Sprachverabeitung”, in: Rea Triyandafilidis, Ivana Ventresca & Felix Pfeffer ( Hg. ): Das Sprachverarbeitungsmodell von Levelt, Sprechwissenschaft und Psycholinguistik an der LMU-München, www.psycholinguistik.uni-muenchen.de/seminar/levelt.html, S. 1 [2] vgl. Anke Werani: “Der Sprecher als Interaktionspartner”, in: Rea Triyandafilidis, Ivana Ventresca & Felix Pfeffer ( Hg. ): Das Sprachverarbeitungsmodell von Levelt, a.a.O., S. 1, vgl. dazu auch Willem J.M. Levelt:
“Speaking. From
intemtion to articulation.” The MIT Press, Cambridge, Massachusetts,
1989, Chap. 2, S. 29-69 [3] siehe dazu Self-Monitoring ( 1.3.1., S. 3 ) [4] Mimik wird wie schon einleitend bemerkt wegen ihrer Komplexität in dieser Studie nicht weiter beachtet, zur Gestik siehe 1.3.2., S. 4 [5] Anke Werani: “Der Sprecher als Interaktionspartner”, a.a.O., S. 1 [6]vgl. zur Ideenlehre und der damit verbundenen Dialektik der Sprache Peter Kunzmann, Franz-Peter Burkard, Franz Wiedmann (Hg.): “dtv-Atlas Philosophie”, Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München, 1998, 7. Aufl., S. 39-41 [7] vgl. Anke Werani: “Modelltheoretische Grundlagen der Sprachverarbeitung”, a.a.O., S. 1 [8] ebd. [9] siehe Anm. 2 [10] im Folgenden frei nach Levelt zusammengefaßt, vgl. dazu Willem
J.M. Levelt: “Speaking. From intention to articulation”, a.a.O.,
Chap. 1, S. 5 sowie S. 8-14 [11] beachte: Levelt weist daraufhin, daß sein Sprachverarbeitungsmodell nur ein oberflächlicher Erklärungsversuch ist, vgl. dazu das summary von Chap. 1 in: Willem
J.M. Levelt: “Speaking. From intention to articulation”, a.a.O.,
S. 27f [12] Dr. Marita Pabst-Weinschenk: “Jan-Peter de Ruiter: Gesture and speech production, Nijmwegen, 1998 (ISBN 90-76203-05-9)”, SoSe 2001, freie und leicht gekürzte Übersetzung von S. 101-105, incl. Grafik sowie Auszug aus : Seyfiddinipur in: Max-Planck-Institut (MPI) Annual Report 2000, 5.1 [13] vgl. ebd. [14] ebd. [15] vgl. Dr. Marita Pabst-Weinschenk: “Jan-Peter de Ruiter: Gesture and speech production, Nijmwegen, 1998 (ISBN 90-76203-05-9)”, SoSe 2001, freie und leicht gekürzte Übersetzung von S. 101-105, incl. Grafik sowie Auszug aus : Seyfiddinipur in: Max-Planck-Institut (MPI) Annual Report 2000, 5.1 [16] ebd., vgl. ebd. auch Seyfiddinipur: Max-Planck-Institut (MPI) Annual Report 2000, 5.1 [17] vgl. ebd. [18] vgl. Grafik ebd. [19]
Willem J.M. Levelt: “Speaking. From articulation to intention”,
a.a.O., Chap. 1, S. 2 [20]
vgl. ebd. [21]
vgl. Willem J.M. Levelt: “Speaking. From articulation to intention.,
a.a.O., Chap. 1, S. 3-8 [22] die erwähnte Annahme des Onset-Vertauschs ist nicht an dieser Stelle von Levelt ( ebd. ) erwähnt, die aber von ihm ebd. erwähnte “Vermischung” läßt sich unter Berücksichtigung von S. 464f und 328f ( ebd. ) nach der Verfasserin als Onset-Vertausch interpretieren. [23] Interpretation der Verfasserin [24] vgl. ebd., S. 482-484 [25]
vgl. ebd. S. 482, siehe dazu auch D. James: “Some aspects of the
syntacs and semantics of interjections”,Papers
from the Eights Regional Meeting. Chicago Linguistic Society, 1972
und ders.:
“Another look at, say, some grammatical constraints on, ok,
interjections and hesitations”, Papers
from the Ninth Regional
Meeting, Chicago Linguistik Society, 1973 [26]
Willem J.M. Levelt: “Speaking. From articulation to intention”,
a.a.O., S. 484 [27] zu den verwendeten Transskriptionszeichen siehe auch Anhang, S. 21 [28] Es ist dabei zu bedenken, daß das Hochschulradio zu dem Zeitpunkt noch im Aufbau begriffen war und fast alle Mitarbeiter Studenten/Innen sind. Bewertungen in Anführungszeichen sind anonyme Zitate der Seminarteilnehmer/Innen. [29] Stefan Wachtel: “Schreiben fürs Hören: Trainingstexte, Regeln und Methoden” ( Reihe Praktischer Journalismus, Bd. 29 ), UVK Medien, Konstanz, 1997 [30] Stefan Wachtel: “Schreiben fürs Hören: Trainingstexte, Regeln und Methoden”, a.a.O., S. 15 [31] ebd., S. 13 [32] ebd., S. 15 [33] Spekulativ mögliche Fehler wurden am Beispiel Levelts bereits dargestellt, siehe dazu 1.4., S. 6f. [34] Stefan Wachtel: “Schreiben fürs Hören: Trainingstexte, Regeln und Methoden”, a.a.O., S. 28 [35] Stefan Wachtel: “Schreiben fürs Hören: Trainingstexte, Regeln und Methoden”, a.a.O., S. 30 ( Hervorhebungen durch die Verfasserin ) [36] vgl. ebd., S. 29 [37] vgl. ebd. [38] ebd. [39] ebd., S. 59f. [40] Es ist zu beachten, daß die Tonqualität der Aufnahme sehr schlecht war, weil es ein Telefoninterview war. [41] Zum Thema “Bandwurmsätze”, d.h. sehr komplexe/verschachtelte Sätze siehe 2.1. b), S. 14f. [42] Im Laufe des Seminars wurde festgestellt, daß Gestikulierende weniger Füllwörter benutzen. Füllwörter wurden nie von Gestik begleitet. Darauf näher einzugehen, würde den Rahmen der Studie sprengen, daher wird es unterlassen. [43] siehe dazu 1.3.2., S. 5f. [44] siehe dazu 2.1. b), S. 14f. [45] vgl. Stefan Wachtel: “Schreiben fürs Hören: Trainingstexte, Regeln und Methoden”, a.a.O., S. 14 [46] vgl. 1.4., S. 7 [47] siehe Anm. 29
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