Moderator: Dr. Jochen
Kießling-Sonntag
Hintergrund des Vortrags: Qualifizierungsprogramm in einer Textilfabrik in den neuen Bundesländern, 1997
Das
Programm war ein großer Erfolg. Es fand zu einer Zeit statt, in der der Sinn
von externen Qualifizierungsangeboten in Frage gestellt wurde und mehr
arbeitsplatznahe Beratung gewünscht wurde.
Ausgangssituation für die
Qualifizierungsmaßnahme waren ein zuvor erfolgter massiver Personalabbau (von
2000 auf 400), neu eingeführte Technologien, die Maßgabe hervorragender
Produktqualität, sowie die Notwendigkeit, das Unternehmen zu konsolidieren.
Daraus resultierten neue Rollen für die Führungskräfte und der Bedarf einer
neuen Form von Zusammenarbeit.
Durch
die Qualifizierungs-Maßnahme sollten der Veränderung der Anforderungen an
Führungskräfte sowie der Konsolidierung der Firmenstrukturen Rechnung getragen
werden. Die MitarbeiterInnen waren sehr an der Maßnahme interessiert und
hochmotiviert.
Ziel war eine verbesserte
Zusammenarbeit über Hierarchien und Bereiche hinweg, sowie eine stärkere
Konzentration der Führungskräfte auf ihre Führungsaufgaben. Das alte Rollenbild
aus der DDR-Zeit, in der Führungskräfte nur Anweisungen von Oben nach Unten
weitergaben, sollte geändert werden. Schwerpunkte waren dabei die Themen
Konfliktlösung, Eigenverantwortung und tatkräftige Unterstützung der
KollegInnen.
In
der Maßnahme, die auf ein Jahr angelegt war, arbeiteten verschiedene,
hierarchiehomogene Gruppen von Führungskräften zusammen (Abteilungsleiter/
Schichtführende), die, oft mit realem Hintergrund, die selben Themen
bearbeiteten. Schwierig war dabei der Aufbau des nötigen Vertrauens, sowohl
gegenüber dem Trainer als auch gegenüber der KollegInnen.
Frage:
Warum waren die Gruppen hierarchiehomogen
zusammengesetzt?
Antwort: Auf diese Weise sollte
unnötiges Konfliktpotential vermieden werden. Die bereichsübergreifende
Vernetzung erfolgte erst später, in einzelnen Elementen.
Grundlage
des Programms war das Prinzip der „early wins“, der frühen Erfolgserlebnisse,
um die Motivation zu steigern.
Bausteine des Programms waren
zunächst Mitarbeitergespräche, danach zwei mehrtägige Seminare,
Praxisbausteine, Teamberatungen und ein Abschlusstreffen.
Das
Programm sollte als „late win“ auch der Organisation als Ganzes Perspektiven
bieten, es war so angelegt, dass es auch alleine weiterlaufen konnte.
Hauptpunkt war hier die Vermittlung von Methodenkompetenz („learning to
learn“).
Dazu
wurden Methoden aus dem psychosozialen Bereich auf die Situation vor Ort
angepasst.
Als
Rahmenbedingungen vor Ort war ein
„Machtpromoter“ nötig, jemand, der in der Firma Einfluß hat und voll hinter dem
Programm steht, es also in Konfliktsituationen stützen kann, und ein
„Kümmerer“, der das Programm vor Ort organisierte und betreute. In dem
konkreten Fall handelte es sich um den Personalleiter. Positiv wurde hier
bewertet, dass dieser Zugang zu Hierarchien und arbeitsrechtliches Knowhow hat,
da er aber für die MitarbeiterInnen auch eine disziplinarische Instanz
darstellte, erwies sich die Frage nach der Vertrauensbasis zunächst als
schwierig.
Das
Programm wurde auf einer hierarchieübergreifenden Auftaktveranstaltung, einer
„Klimakonferenz“, den MitarbeiterInnen vorgestellt. Das Konzept war füe die
Beteiligten neu, zunächst war die Beteiligung zögerlich, dann jedoch herrschte
reges Interesse.
Vor
Beginn des Programms war ein Leitfaden für Mitarbeitergespräche entwickelt
worden, die zum Programmbeginn zum Thema „Führung und Zusammenarbeit“ geführt
wurden. Im Rahmen dieser Gespräche sollten Motivation zur Teilnahme am Programm
vermittelt werden sowie individuelle Qualifikationsziele festgelegt werden.
An
diesen Mitarbeitergesprächen nahmen ca. 50 % der Betroffenen teil.
Frage: Wie und durch wen wurde
über das Programm informiert?
Antwort: Es gab die
Auftaktveranstaltung, einen Workshop, eine offizielle Infoveranstaltung zur
Vorstellung des Programms sowie eine schriftliche Information für jede(n)
MitarbeiterIn.
Dennoch
hatten zu Beginn des Programms nur etwa 50 % eine Ahnung, was genau auf sie
zukommt.
Frage: Was war Gegenstand dieses
Mitarbeitergesprächs?
Antwort: Thema war die Fähigkeit des
Mitarbeiters, seine Führungsrolle auszufüllen, sowie seine/ihre individuellen
Stärken und Schwächen. Das Gespräch beinhaltete sowohl ein Feedback des
Vorgesetzten sowie eine Reflexion des Mitarbeiters.
Im
Vorfeld des Programms war durch Interviews mit den Bereichsleitern eine
„Organisationsdiagnose“ erstellt worden. Die Bereichsleiter waren ansonsten an
der Qualifizierungsreihe nicht beteiligt.
Frage: Das Mitarbeitergespräch
steht aufgrund seiner Komplexität, die bestimmte Kompetenzen erfordert, häufig
erst am Ende eines solchen Prozesses. Warum wurde es hier am Anfang gemacht?
Antwort: Ziel dieses Vorgehens war
die Hierarchieverknüpfung sowie die Sicherung von Unterstützung der
Bereichsleiter für ihre unteren Ebenen. In einem weiteren Programm würde es in
dieser Form allerdings nicht mehr gemacht werden.
Die Seminarbausteine des Programms
bestanden aus zwei Seminaren, die im Abstand von einem halben Jahr stattfanden.
Eines der Seminare dauerte 4, das andere 3 Tage. Die langen Seminarphasen sind
notwendig, um das Thema „Kollegiale Praxisberatung“ ausführlich behandeln zu
können. Hier soll nicht nur Theorie vermittelt, sondern auch Praxis geübt
werden, was auch für die Vertrauensbildung wichtig ist. Außerdem werden auf den
Seminaren Themen wie Kritik, Motivation und Führungsgrundlagen behandelt. Ziel
des ersten Seminars war es, die TeilnehmerInnen zu motivieren und die
Bereitschaft zu einem ersten Praxistreffen im Werk zu schaffen. Nach zwei
Praxistreffen fand eine Teamberatung mit Supervision und Auswertung statt. Insgesamt
gab es sechs Praxistreffen und zwei Teamberatungen.
Am
Ende fand ein großes, hierarchieübergreifendes Abschlusstreffen statt, an dem
die ganze Führungsmannschaft teilnahm. Dadurch wurde auch ein positiver Effekt
für die gesamte Organisation erzielt.
Methode der Praxistreffen: Innerhalb der Gruppe wurde
unter Leitung eines Moderators eine reale Fallsituation gemeinsam beraten.
Anschließend wurde nach Lösungsansätzen für das Problem gesucht. Die Analyse
der Situation und die Spekulation über Lösungen wurden strikt getrennt, ebenso
gab es eine Zäsur zwischen der Fallschilderung und der Analyse.
Der
Ablauf der Sitzung verlief in sieben Schritten:
-
Klärung
des Ablaufs der Beratung
-
Schilderung
der Problemstellung
-
Nachfragen
zum besseren Verständnis
-
Konkrete
Fragen für die Beratung/ Ziel der Beratung
-
Beiträge
der Kollegen
-
Zusammenfassung
und Kommentar des Fallgebers
(insgesamt 30-60 min.)
Problem: Die Gruppe war einerseits durch einen Mangel an Erfahrungen mit solchen Prozessen gehemmt, andererseits durch die Anwesenheit des Personalleiters. Die Hemmungen mussten durch Überzeugung und Konfrontationen mit der Notwendigkeit der Maßnahme abgebaut werden. Problematisch waren zunächst die allgemeinen Themen, nach der erfolgreichen Beratung des ersten Praxisfals trat eine deutliche Besserung ein.
Frage: War die Anwesenheit des
Personalleiters durch den Trainer gesteuert und positiv belegt?
Antwort: Nein, die Idee der
Begleitung von Praxistreffen kam vom Personalleiter selber, der sich in der
Maßnahme sehr eingebracht hat. Das hat Glaubwürdigkeit geschaffen.
Insgesamt
wurden im Verlauf der Maßnahme 30-40 Praxisfälle beraten. Die Häufigkeit
variierte je nach Tätigkeitsbereich: So gab es z.B. kaum Beratungen im
Technikbereich. Die Themen der Fallberatungen waren sehr breit gefächert, mit
der Zeit entstand ein Vertrauensverhältnis zwischen den KollegInnen.
Frage: Wie wurden die erarbeiteten
Lösungsvorschläge umgesetzt, und wie wurden sie kontrolliert?
Antwort: Bei den Praxistreffen gab
es Rückschauen auf die bereits behandelten Fälle. Da ein Ziel der Maßnahme ja
das Lernen von Eigenverantwortung war, gab es keine direkte Kontrolle, sondern
Lösungsangebote, mit einer gewissen Selbstverpflichtung. Jeder/jede der
TeilnehmerInnen führte ein „Lerntagebuch“ und hatte daher einen Selbstbezug und
eine Eigenkontrolle.
Anmerkung: Manchmal ändern sich
Ansichten über Situationen und richtige Lösungswege.
Antwort: Die Arbeit verlief oft nach
dem Motto „Trial and Error“, viele Situationen waren emotional sehr komplex,
manche davon zogen sich länger hin.
Frage: Was war die Rolle des
Trainers in den Praxisberatungen?
Antwort: Weitestgehend hat sich der
Trainer rausgehalten, es gab aber keine strikte Trennung. Manchmal gab es
Beteiligung im Sinne einer „Steuerungskompetenz“, dabei ging es aber eher um
das Geben von Modell-Anregungen als Gleicher unter Gleichen.
Frage: Wurden methodische Frage-
und Interventionsmöglichkeiten auch besprochen?
Antwort: Ja, es wurden verschiedene
Methoden und unterschiedliche Problembetrachtungsweisen trainiert.
Frage: Wurde Moderation auch
trainiert?
Antwort: Ja, die Moderation wurde im
Wechsel von den TeilnehmerInnen übernommen. Es gab allerdings keine spezifische
Moderatorenausbildung, da ja lediglich das Einhalten des Konzepts erforderlich
war.
Frage: Welche Größen hatten die
Gruppen?
Antwort:
Die Gruppen
hatten 9-13 TeilnehmerInnen, das war eigentlich schon zu groß für eine
Praxisberatung. Bei mehreren Fällen war in größeren Gruppen schneller „die Luft
raus“, die ideale Grüße wäre 6-8 TeilnehmerInnen gewesen.
Frage: Wurde die Vertraulichkeit
der Fälle eingehalten?
Antwort: Die Rahmenvoraussetzungen
für die Praxisarbeit waren vorher besprochen worden. Die Bewährung im Alltag
funktionierte, Pannen passierte höchstens aus emotionalem Engagement heraus und
ohne böse Absicht. Auch mit den Trainern waren vorher klare Abgrenzungen
verabredet worden.
Frage: Wie häufig und
kontinuierlich waren die Treffen?
Antwort: Eine Gruppe (Meister) hat
weitergemacht, zwei haben das nicht getan. Die Verselbstständigung der
Praxistreffen ohne Teamberatungen läuft nicht so gut.
Frage: Hat der Prozess mit Blick
auf die Ausgangssituation der Gesamtorganisation (Personalschwund,
Qualitätsarbeit) etwas bewirkt?
Antwort: Die behandelten
Fragestellungen wurden gelöst, die Organisationsentwicklung wurde in der Firma
spürbar. Es gab bereichsübergreifende Zusammenarbeit und Prozessoptimierungen.
Es fand eine Ermutigung zu eigenen Maßnahmen statt, wenig später wurde eine
fachliche Qualifikationsmaßnahme gestartet.
Frage: Hat sich die Unternehmenskultur
verändert, oder gab es Rückfälle?
Antwort: Es gab keine Rückfälle,
aber viele positive Effekte. Es kamen neue TeilnehmerInnen in die Gruppen, die
Motivation hält auch nach über 3 Jahren an. Es herrscht nach inzwischen mehr
Selbstvertrauen und Klarheit über die Führungsrolle. 90% der MitarbeiterInnen
stellten eine deutliche Verbesserung in der Zusammenarbeit fest.
Frage: Gibt es eine Lösung für das
Kontinuitätsproblem?
Antwort: Oft funktioniert das nicht,
das hat mit mangelndem Vertrauen und Konkurrenzdenken zu tun.
Frage: Wie kamen die
MitarbeiterInnen mit der hohen Komplexität der Fallberatungen zurecht?
Antwort: Zunächst wurden Gespräche
geführt und Grundlagenwissen vermittelt, dann wurden in Halbtagsphasen Fälle
beraten.
Der
Erfolg der Beratungen kam wohl hauptsächlich durch positive
Ausgangsvoraussetzungen zustande: Die TeilnehmerInnen waren hochmotiviert.
Durch die bestehende Unsicherheit durch Personalreduktion und die starken
Veränderungen waren sie auf der Suche nach Orientierung und Stabilität. Die
Realisierung des Programms war nur durch den langen Zeitraum möglich, der hier
gegeben wurde, viele Unternehmen sind dazu nicht bereit.
Anmerkung: Bei der Durchführung eines
Programms in einer vom Konkurs bedrohten Firma, das ein Jahr lang mit allen
Mitarbeitern gemacht wurde, gab es Probleme. Das Ziel war bessere
Zusammenarbeit und Kommunikation, da aber die Führungsebene nicht an dem
Programm teilgenommen hatte gab es Vertrauensprobleme, die Chefs waren
verunsichert.
Antwort: In Elsterberg gab es durch
das Programm einen „Sog von unten“: Die Chefs und Bereichsleiter haben sich
individuell weiterqualifiziert, um auch glaubwürdig zu sein.
Frage:
Hing die
hohe Motivation damit zusammen, dass es noch keine Erfahrungen im
Qualifikationsbereich gab?
Antwort: Ja, der Wusch nach
Weiterbildung war schon vorher geäußert worden, Veränderung war gewünscht.
Wichtig für die Motivation ist, dass noch keine Misserfolge und schlechten
Erfahrungen in dem Bereich gemacht wurden.
Anmerkung:
Die DDR-Erfahrungen
von ArbeitnehmerInnen in den neuen Bundesländern sind für die Trainer nutzbar,
der Werteverlust nach dem Ende der DDR hat den Wunsch nach Neuorientierung
begünstigt und eine große Offenheit erzeugt.