Protokoll von Ramona Döring

 

„Selbstgesteuerte Kollegiale Coachinggruppen – Ein Beitrag zur Personen- und Organisationsentwicklung“

 

Referent: Dipl.-Psych. Frank Wenderoth

Moderator: Dr. Jochen Kießling-Sonntag

 

Hintergrund des Vortrags: Qualifizierungsprogramm in einer Textilfabrik in den neuen Bundesländern, 1997

Das Programm war ein großer Erfolg. Es fand zu einer Zeit statt, in der der Sinn von externen Qualifizierungsangeboten in Frage gestellt wurde und mehr arbeitsplatznahe Beratung gewünscht wurde.

Ausgangssituation für die Qualifizierungsmaßnahme waren ein zuvor erfolgter massiver Personalabbau (von 2000 auf 400), neu eingeführte Technologien, die Maßgabe hervorragender Produktqualität, sowie die Notwendigkeit, das Unternehmen zu konsolidieren. Daraus resultierten neue Rollen für die Führungskräfte und der Bedarf einer neuen Form von Zusammenarbeit.

Durch die Qualifizierungs-Maßnahme sollten der Veränderung der Anforderungen an Führungskräfte sowie der Konsolidierung der Firmenstrukturen Rechnung getragen werden. Die MitarbeiterInnen waren sehr an der Maßnahme interessiert und hochmotiviert.

 

Ziel war eine verbesserte Zusammenarbeit über Hierarchien und Bereiche hinweg, sowie eine stärkere Konzentration der Führungskräfte auf ihre Führungsaufgaben. Das alte Rollenbild aus der DDR-Zeit, in der Führungskräfte nur Anweisungen von Oben nach Unten weitergaben, sollte geändert werden. Schwerpunkte waren dabei die Themen Konfliktlösung, Eigenverantwortung und tatkräftige Unterstützung der KollegInnen.

 

In der Maßnahme, die auf ein Jahr angelegt war, arbeiteten verschiedene, hierarchiehomogene Gruppen von Führungskräften zusammen (Abteilungsleiter/ Schichtführende), die, oft mit realem Hintergrund, die selben Themen bearbeiteten. Schwierig war dabei der Aufbau des nötigen Vertrauens, sowohl gegenüber dem Trainer als auch gegenüber der KollegInnen.

 

Frage:  Warum waren die Gruppen hierarchiehomogen zusammengesetzt?

Antwort: Auf diese Weise sollte unnötiges Konfliktpotential vermieden werden. Die bereichsübergreifende Vernetzung erfolgte erst später, in einzelnen Elementen.

Grundlage des Programms war das Prinzip der „early wins“, der frühen Erfolgserlebnisse, um die Motivation zu steigern.

 

Bausteine des Programms waren zunächst Mitarbeitergespräche, danach zwei mehrtägige Seminare, Praxisbausteine, Teamberatungen und ein Abschlusstreffen.

Das Programm sollte als „late win“ auch der Organisation als Ganzes Perspektiven bieten, es war so angelegt, dass es auch alleine weiterlaufen konnte. Hauptpunkt war hier die Vermittlung von Methodenkompetenz („learning to learn“).

Dazu wurden Methoden aus dem psychosozialen Bereich auf die Situation vor Ort angepasst.

Als Rahmenbedingungen vor Ort war ein „Machtpromoter“ nötig, jemand, der in der Firma Einfluß hat und voll hinter dem Programm steht, es also in Konfliktsituationen stützen kann, und ein „Kümmerer“, der das Programm vor Ort organisierte und betreute. In dem konkreten Fall handelte es sich um den Personalleiter. Positiv wurde hier bewertet, dass dieser Zugang zu Hierarchien und arbeitsrechtliches Knowhow hat, da er aber für die MitarbeiterInnen auch eine disziplinarische Instanz darstellte, erwies sich die Frage nach der Vertrauensbasis zunächst als schwierig.

 

Das Programm wurde auf einer hierarchieübergreifenden Auftaktveranstaltung, einer „Klimakonferenz“, den MitarbeiterInnen vorgestellt. Das Konzept war füe die Beteiligten neu, zunächst war die Beteiligung zögerlich, dann jedoch herrschte reges Interesse.

Vor Beginn des Programms war ein Leitfaden für Mitarbeitergespräche entwickelt worden, die zum Programmbeginn zum Thema „Führung und Zusammenarbeit“ geführt wurden. Im Rahmen dieser Gespräche sollten Motivation zur Teilnahme am Programm vermittelt werden sowie individuelle Qualifikationsziele festgelegt werden.

An diesen Mitarbeitergesprächen nahmen ca. 50 % der Betroffenen teil.

 

Frage: Wie und durch wen wurde über das Programm informiert?

Antwort: Es gab die Auftaktveranstaltung, einen Workshop, eine offizielle Infoveranstaltung zur Vorstellung des Programms sowie eine schriftliche Information für jede(n) MitarbeiterIn.

Dennoch hatten zu Beginn des Programms nur etwa 50 % eine Ahnung, was genau auf sie zukommt.

 

Frage: Was war Gegenstand dieses Mitarbeitergesprächs?

Antwort: Thema war die Fähigkeit des Mitarbeiters, seine Führungsrolle auszufüllen, sowie seine/ihre individuellen Stärken und Schwächen. Das Gespräch beinhaltete sowohl ein Feedback des Vorgesetzten sowie eine Reflexion des Mitarbeiters.

 

Im Vorfeld des Programms war durch Interviews mit den Bereichsleitern eine „Organisationsdiagnose“ erstellt worden. Die Bereichsleiter waren ansonsten an der Qualifizierungsreihe nicht beteiligt.

 

Frage: Das Mitarbeitergespräch steht aufgrund seiner Komplexität, die bestimmte Kompetenzen erfordert, häufig erst am Ende eines solchen Prozesses. Warum wurde es hier am Anfang gemacht?

Antwort: Ziel dieses Vorgehens war die Hierarchieverknüpfung sowie die Sicherung von Unterstützung der Bereichsleiter für ihre unteren Ebenen. In einem weiteren Programm würde es in dieser Form allerdings nicht mehr gemacht werden.

 

Die Seminarbausteine des Programms bestanden aus zwei Seminaren, die im Abstand von einem halben Jahr stattfanden. Eines der Seminare dauerte 4, das andere 3 Tage. Die langen Seminarphasen sind notwendig, um das Thema „Kollegiale Praxisberatung“ ausführlich behandeln zu können. Hier soll nicht nur Theorie vermittelt, sondern auch Praxis geübt werden, was auch für die Vertrauensbildung wichtig ist. Außerdem werden auf den Seminaren Themen wie Kritik, Motivation und Führungsgrundlagen behandelt. Ziel des ersten Seminars war es, die TeilnehmerInnen zu motivieren und die Bereitschaft zu einem ersten Praxistreffen im Werk zu schaffen. Nach zwei Praxistreffen fand eine Teamberatung mit Supervision und Auswertung statt. Insgesamt gab es sechs Praxistreffen und zwei Teamberatungen.

Am Ende fand ein großes, hierarchieübergreifendes Abschlusstreffen statt, an dem die ganze Führungsmannschaft teilnahm. Dadurch wurde auch ein positiver Effekt für die gesamte Organisation erzielt.

Methode der Praxistreffen: Innerhalb der Gruppe wurde unter Leitung eines Moderators eine reale Fallsituation gemeinsam beraten. Anschließend wurde nach Lösungsansätzen für das Problem gesucht. Die Analyse der Situation und die Spekulation über Lösungen wurden strikt getrennt, ebenso gab es eine Zäsur zwischen der Fallschilderung und der Analyse.

Der Ablauf der Sitzung verlief in sieben Schritten:

-         Klärung des Ablaufs der Beratung

-         Schilderung der Problemstellung

-         Nachfragen zum besseren Verständnis

-         Konkrete Fragen für die Beratung/ Ziel der Beratung

-         Beiträge der Kollegen

-         Zusammenfassung und Kommentar des Fallgebers

(insgesamt 30-60 min.)

Problem: Die Gruppe war einerseits durch einen Mangel an Erfahrungen mit solchen Prozessen gehemmt, andererseits durch die Anwesenheit des Personalleiters. Die Hemmungen mussten durch Überzeugung und Konfrontationen mit der Notwendigkeit der Maßnahme abgebaut werden. Problematisch waren zunächst die allgemeinen Themen, nach der erfolgreichen Beratung des ersten Praxisfals trat eine deutliche Besserung ein.

 

Frage: War die Anwesenheit des Personalleiters durch den Trainer gesteuert und positiv belegt?

Antwort: Nein, die Idee der Begleitung von Praxistreffen kam vom Personalleiter selber, der sich in der Maßnahme sehr eingebracht hat. Das hat Glaubwürdigkeit geschaffen.

 

Insgesamt wurden im Verlauf der Maßnahme 30-40 Praxisfälle beraten. Die Häufigkeit variierte je nach Tätigkeitsbereich: So gab es z.B. kaum Beratungen im Technikbereich. Die Themen der Fallberatungen waren sehr breit gefächert, mit der Zeit entstand ein Vertrauensverhältnis zwischen den KollegInnen.

 

Frage: Wie wurden die erarbeiteten Lösungsvorschläge umgesetzt, und wie wurden sie kontrolliert?

Antwort: Bei den Praxistreffen gab es Rückschauen auf die bereits behandelten Fälle. Da ein Ziel der Maßnahme ja das Lernen von Eigenverantwortung war, gab es keine direkte Kontrolle, sondern Lösungsangebote, mit einer gewissen Selbstverpflichtung. Jeder/jede der TeilnehmerInnen führte ein „Lerntagebuch“ und hatte daher einen Selbstbezug und eine Eigenkontrolle.

 

Anmerkung: Manchmal ändern sich Ansichten über Situationen und richtige Lösungswege.

Antwort: Die Arbeit verlief oft nach dem Motto „Trial and Error“, viele Situationen waren emotional sehr komplex, manche davon zogen sich länger hin.

 

Frage: Was war die Rolle des Trainers in den Praxisberatungen?

Antwort: Weitestgehend hat sich der Trainer rausgehalten, es gab aber keine strikte Trennung. Manchmal gab es Beteiligung im Sinne einer „Steuerungskompetenz“, dabei ging es aber eher um das Geben von Modell-Anregungen als Gleicher unter Gleichen.

 

Frage: Wurden methodische Frage- und Interventionsmöglichkeiten auch besprochen?

Antwort: Ja, es wurden verschiedene Methoden und unterschiedliche Problembetrachtungsweisen trainiert.

 

Frage: Wurde Moderation auch trainiert?

Antwort: Ja, die Moderation wurde im Wechsel von den TeilnehmerInnen übernommen. Es gab allerdings keine spezifische Moderatorenausbildung, da ja lediglich das Einhalten des Konzepts erforderlich war.

 

Frage: Welche Größen hatten die Gruppen?

Antwort: Die Gruppen hatten 9-13 TeilnehmerInnen, das war eigentlich schon zu groß für eine Praxisberatung. Bei mehreren Fällen war in größeren Gruppen schneller „die Luft raus“, die ideale Grüße wäre 6-8 TeilnehmerInnen gewesen.

 

Frage: Wurde die Vertraulichkeit der Fälle eingehalten?

Antwort: Die Rahmenvoraussetzungen für die Praxisarbeit waren vorher besprochen worden. Die Bewährung im Alltag funktionierte, Pannen passierte höchstens aus emotionalem Engagement heraus und ohne böse Absicht. Auch mit den Trainern waren vorher klare Abgrenzungen verabredet worden.

 

Frage: Wie häufig und kontinuierlich waren die Treffen?

Antwort: Eine Gruppe (Meister) hat weitergemacht, zwei haben das nicht getan. Die Verselbstständigung der Praxistreffen ohne Teamberatungen läuft nicht so gut.

 

Frage: Hat der Prozess mit Blick auf die Ausgangssituation der Gesamtorganisation (Personalschwund, Qualitätsarbeit) etwas bewirkt?

Antwort: Die behandelten Fragestellungen wurden gelöst, die Organisationsentwicklung wurde in der Firma spürbar. Es gab bereichsübergreifende Zusammenarbeit und Prozessoptimierungen. Es fand eine Ermutigung zu eigenen Maßnahmen statt, wenig später wurde eine fachliche Qualifikationsmaßnahme gestartet.

 

Frage: Hat sich die Unternehmenskultur verändert, oder gab es Rückfälle?

Antwort: Es gab keine Rückfälle, aber viele positive Effekte. Es kamen neue TeilnehmerInnen in die Gruppen, die Motivation hält auch nach über 3 Jahren an. Es herrscht nach inzwischen mehr Selbstvertrauen und Klarheit über die Führungsrolle. 90% der MitarbeiterInnen stellten eine deutliche Verbesserung in der Zusammenarbeit fest.

 

Frage: Gibt es eine Lösung für das Kontinuitätsproblem?

Antwort: Oft funktioniert das nicht, das hat mit mangelndem Vertrauen und Konkurrenzdenken zu tun.

 

Frage: Wie kamen die MitarbeiterInnen mit der hohen Komplexität der Fallberatungen zurecht?

Antwort: Zunächst wurden Gespräche geführt und Grundlagenwissen vermittelt, dann wurden in Halbtagsphasen Fälle beraten.

Der Erfolg der Beratungen kam wohl hauptsächlich durch positive Ausgangsvoraussetzungen zustande: Die TeilnehmerInnen waren hochmotiviert. Durch die bestehende Unsicherheit durch Personalreduktion und die starken Veränderungen waren sie auf der Suche nach Orientierung und Stabilität. Die Realisierung des Programms war nur durch den langen Zeitraum möglich, der hier gegeben wurde, viele Unternehmen sind dazu nicht bereit.

 

Anmerkung: Bei der Durchführung eines Programms in einer vom Konkurs bedrohten Firma, das ein Jahr lang mit allen Mitarbeitern gemacht wurde, gab es Probleme. Das Ziel war bessere Zusammenarbeit und Kommunikation, da aber die Führungsebene nicht an dem Programm teilgenommen hatte gab es Vertrauensprobleme, die Chefs waren verunsichert.

Antwort: In Elsterberg gab es durch das Programm einen „Sog von unten“: Die Chefs und Bereichsleiter haben sich individuell weiterqualifiziert, um auch glaubwürdig zu sein.

 

Frage: Hing die hohe Motivation damit zusammen, dass es noch keine Erfahrungen im Qualifikationsbereich gab?

Antwort: Ja, der Wusch nach Weiterbildung war schon vorher geäußert worden, Veränderung war gewünscht. Wichtig für die Motivation ist, dass noch keine Misserfolge und schlechten Erfahrungen in dem Bereich gemacht wurden.

 

Anmerkung: Die DDR-Erfahrungen von ArbeitnehmerInnen in den neuen Bundesländern sind für die Trainer nutzbar, der Werteverlust nach dem Ende der DDR hat den Wunsch nach Neuorientierung begünstigt und eine große Offenheit erzeugt.